Das Filmfestival “#Remember im November” von Schülerinnen und Schüler der Paul-Gerhardt-Schule Dassel wollte mit ausgesuchten Filmen an den Holocaust erinnern. Gedenkkultur müsse nicht immer bedeutungsschwer und demütig sein, sagen sie, sondern könne auch an Orten der Unterhaltungskultur stattfinden. Die Schließung der Kinos durch die aktuelle Corona-Verordnung und die Kontakt-Beschränkungen lassen ein Filmfestival zurzeit nicht zu. Die Schülerinnen und Schüler des Seminarfachs “Total Recall” haben aber nicht aufgegeben, sondern dieses Dossier erarbeitet:
“Wir schauen uns Filme an, um uns zu amüsieren. Um uns abzulenken. Um Neues zu lernen und Altbekanntes in neuem Licht zu sehen. Kino ist eine Kunstform, die fast alle berührt, von fast allen konsumiert wird. Das macht diese Kunst vielfältig und abwechslungsreich. Und zu einem reichhaltigen Spiegel der Gesellschaft in den vergangenen 100 Jahren.
Was läge also näher, als zum Anlass des 9. November, dem Tag an dem 1938 in Deutschland die Synagogen brannten, ein Filmfestival über Film und Holocaust zu veranstalten? Um zu erforschen, wie dieser administrative Massenmord seinen Weg ins Kino beschritten hat. Um unser Publikum unerwartet in einem Kinosessel mit der Vergangenheit zu konfrontieren.
Natürlich entspricht das nicht der klassischen Vorstellung einer Gedenkveranstaltung. Natürlich nicht, aber wer hat in Stein gemeißelt, dass Gedenken immer mit langen Gesichtern und schwerer Rhetorik verbunden sein muss? Im Holocaust wurden Menschen ausgelöscht, und deren Leben gilt es zu feiern. Lachen und Weinen, Schockmomente, Kontroversen, Diskussionen, neue Horizonte sind das Ziel, um Erinnerungen zu bewahren und Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.
Mit dieser Zielsetzung hatte das Seminarfach „Total Recall“ der Paul-Gerhardt-Schule in Dassel dieses Festival in den vergangenen Monaten geplant und vorbereitet. Es sollte im November stattfinden, immer am Montagabend im Welttheater in Einbeck. Fünf Filme wurden in Zusammenarbeit mit Dr. Daniel Wildmann vom Leo Baeck Institut London ausgewählt, um einen Querschnitt durch die vielfältigen Verarbeitungen des Holocaust im Kino des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts zu präsentieren. Das war der Plan.
Doch dann kam Corona und es musste alles abgesagt werden. Alles? Nein, was Sie hier lesen ist eine abgewandelte Form. Wir stellen Ihnen diese fünf Filme vor, und Sie, unser geneigtes Publikum zu Hause, schauen sich diejenigen an, die sie besonders ansprechen. Wir wünschen Ihnen hierbei neue Erkenntnisse, Momente der Zustimmung und Ablehnung, Diskussion mit Ihren Familien, und natürlich auch Spaß. Stellen Sie sich einfach vor, das Kino käme in Ihr Wohnzimmer.”
To Be or Not to Be (USA 1942) Ernst Lubitsch, Komödie, 90 Minuten
In englischer Sprache
Sollte man Witze über die Nazis machen? – Ja! Welch ein besserer Weg wäre denkbar, um mitten im Krieg für Ablenkung zu sorgen, als die Nazis wie einen Haufen leicht zu täuschender Bürokraten und tumber Idioten im Regen stehen zu lassen? Der Film „To Be or Not to Be” von Ernst Lubitsch dreht sich um eine polnische Theater-Kompanie in Warschau im Winter 1941, die vor dem Einmarsch der Nazis einen gefeierten Hamlet inszeniert. Widerstand, Zivilcourage und romantische Verwicklungen prägen die Handlung rund um die Besetzung der Stadt. Diesem Film gelingt etwas Besonderes – er ist sowohl komödiantisch als auch ernst, verpackt Schrecken in Parodie, wahrt aber doch den Respekt. Dies mag an der Epoche liegen, aus der er stammt. Für Regisseur und Schauspieler war das, was sie spielten, eine hochaktuelle Realsatire. Diese Unmittelbarkeit und Nähe beeindrucken bis heute. Sie machen den Film zu einem wirklich lohnenswerten cineastischen Ereignis. (Erhältlich auf DVD)
Sterne (DDR/Bulgarien 1959) Konrad Wolf, Drama, 92 Minuten
Der Film „Sterne“, welcher in der ehemaligen DDR und in Bulgarien produziert wurde, erschien 1959 in einer Länge von 92 Minuten. Das Drehbuch wurde von Angel Wagenstein verfasst und wurde unter der Regie von Konrad Wolf mithilfe der DEFA produziert. Griechische Juden haben 1943 auf ihrer Deportation ins Todeslager Auschwitz einen dreitägigen Aufenthalt in einer kleinen belgischen Stadt. Die Gefangene Jüdin Ruth bittet den Wehrmachts-Unteroffizier Walter um Hilfe für eine gebärende Mitgefangene. Walter hilft Ruth so gut er kann und im weiteren Filmverlauf verlieben sich die beiden, da sie stets Kontakt haben. Durch diese Liebe wandelt sich der Wehrmachts-Unteroffizier und beginnt das ganze System und die Ideologie der Nationalsozialisten zu hinterfragen. Als erster deutscher Film thematisiert „Sterne“ den Holocaust. Zudem wird auf ergreifende Art und Weise durch die wenigen Personen in Verbindung mit ihren Berufen auf die Deportation eingegangen. Die ideologische Botschaft, die bei viele DEFA-Filmen eingesetzt wird, fehlt hier nahezu komplett. Somit wirkt der Film noch zeitloser. (Erhältlich auf DVD)
Au Revoir les Enfants (Frankreich 1987), Louis Malle, Drama, 104 Minuten
„Au Revoir les Enfants“ – die kindliche Schilderung von Solidarität in Zeiten der Verfolgung
Kinder offenbaren eine andere Perspektive und Wahrnehmung des Holocaust. Louis Malle schafft es, mithilfe seiner Figurenkonstellation die Beziehung von jüdischen und nicht-jüdischen Kindern innerhalb eines französischen Internats darzustellen. Der 12-jährige Julien kehrt nach den Weihnachtsferien mit seinem älteren Bruder zurück in das französische Internat, um der Gefahr des Krieges in ihrem Heimatort zu entkommen. Ihr Alltag ist geprägt von Hänseleien, weshalb es Julien anfangs schwerfällt, seinen neuen Bettnachbarn Bonnet zu akzeptieren. Gemeinsame Interessen verbinden die Jungen im Laufe des Films zu einer festen Freundschaft. Doch wie das Schicksal so will, trennen sich ihre Wege. „Au Revoir les Enfants“ ist einer von vielen Filmen Louis Malles, welcher Unruhen und Umbrüche seiner eigenen Biografie thematisiert. Auch der fehlende Halt seines Vaters spiegelt sich in den familiären Verhältnissen Juliens wider. Eine bewegende Geschichte nach wahren Begebenheiten lässt den Betrachtern in die Welt der Wahrnehmung von Kindern eintauchen. (Erhältlich auf DVD)
Defiance (USA 2008), Edward Zwick, Kriegsfilm, 137 Minuten
Kriegsjahr 1941. Osteuropäische Juden werden zu Tausenden ermordet. Die 3 Bielski-Brüder suchen Zuflucht vor sicherem Tod in den Wäldern Weißrusslands. Von dort aus beginnen sie einen verzweifelten Kampf gegen die Nazis, bei dem es zunächst nur um ihr eigenes Überleben geht. Aber als sich die Kunde ihres Mutes in der Bevölkerung verbreitet, treffen immer mehr jüdische Landsleute im Wald ein: Männer, Frauen, Junge und Alte sind auf der verzweifelten Suche nach Hilfe – und finden sie im Lager der Partisanen. Edward Zwick hat diese faszinierende Geschichte für die Leinwand aufbereitet: als bewegendes Action-Drama über das komplizierte Wesen von Rache und Widerstand, über die Stärke der Gemeinschaft und den Willen zum Überleben, selbst dann, wenn alle Hoffnung verloren scheint. Die Filmemacher ließen größte Sorgfalt walten, um eine Geschichte wiederaufleben zu lassen, die für sich genommen schon bemerkenswert genug ist. Fast noch entscheidender ist aber, dass sie damit eine aufregende Realität beleuchten, die im Kino bislang so gut wie ignoriert wurde: den mutigen Widerstand jener Juden, die nicht kampflos untergehen wollten. (Erhältlich auf DVD/BluRay und auf Neflix)
The Flat (Isreal 2011) Arnon Goldfinger, Dokumentarfilm, 97 Minuten
Hebräisch, Deutsch, Englisch mit Untertiteln
The Flat. Ein israelisch-deutscher Dokumentarfilm der anderen Art.
The Flat ist eine spannende Geschichte aus dem wirklichen Leben darüber, wie die Vergangenheit zurückkehren kann, um die Gegenwart zu verfolgen. Beim Aufräumen der Wohnung, die Goldfingers vor kurzem verstorbene Großmutter ihm hinterlassen hatte, werden Hinweise auf eine komplizierte und schockierende Geschichte aufgespürt. Unter unzähligen Briefen, Fotos und Dokumenten aus mehreren Jahrzehnten finden sich Anhaltspunkte, dass die jüdischen Großeltern eng befreundet mit der Familie eines SS-Offiziers waren. So beginnen eine spannende Reise und ein Kampf um die „wahre“ Vergangenheit der Großeltern, in der sich herausstellt, dass das Wissen um die Wahrheit eine schreckliche Belastung sein kann. Der Film, in dem Arnon Goldfinger sowohl den Protagonisten als auch der Regisseur ist, überzeugt mit verstörenden Einblicken in die Vergangenheit und die Entwicklung seiner Familie. Er erkundet die Freundschaft eines Juden mit einem vermeintlichen Judenhasser und bringt unterdrückte Erinnerungen ans Licht. (Erhältlich auf DVD)
