Mit den geübten Augen von Reinhard Leibecke hat alles angefangen. Seit fast vier Jahrzehnten streift er über die Felder rund um sein Heimatdorf Sievershausen im Solling und spürt dabei steinerne Hinterlassenschaften von Jägern und Sammlern auf. Seine Steinzeit-Funde zeigte Leibecke der Northeimer Kreisarchäologin Dr. Petra Lönne. Und die schaltete den renommierten Forscher Dr. Jordi Serangeli von der Universität Tübingen ein, ein Experte für die Zeitperiode. Der organisierte ein Archäologenteam, und jetzt finden auf einem abgeernteten Acker nahe Abbecke bei Sievershausen die ersten Probegrabungen statt. Wenn die sechs Studierenden der Uni Tübingen in den kommenden zwei Wochen weitere Spuren von Steinzeit-Bewohnern der Region finden, könnte hier in den nächsten Jahren ein größeres Forschungsprojekt entstehen.

Das, was Reinhard Leibecke mittlerweile an mehr als 30 Stellen auf Feldern gefunden hat, sind so genannte Steinartefakte aus der älteren und mittleren Steinzeit, der Zeit zwischen 15.000 und 10.000 vor unserer Zeitrechnung (Paläolithikum/Mesolithikum). Darunter sind auch Steinklingen, an denen noch Reste von Birkenharz haften, mit denen diese in Holzschäften fixiert waren, oder größere Steine, die für das Aufbrechen von Markknochen genutzt wurden, und noch heute eindeutige Gebrauchsspuren aufweisen.
Die Steinspitzen, Feuersteine und Axtteile belegen nicht nur, dass Menschen vor tausenden von Jahren hier gewesen sein müssen. Sie haben auch bewusst die Lage am Solling mit seinen engen und tiefen Tälern zu nutzen gewusst, erläutert Dr. Jordi Serangeli von der Universität Tübingen. Denn in den Tälern wie hier am Abbecker Bach waren die großen Wildpferd-, Hirsch- und Auerochsenherden zu finden. Und wenn diese aus den Tälern kamen, hatten die damals noch nicht sesshaft lebenden Jäger leichteres Spiel.
Zwei Wochen Zeit haben die Studierenden aus den USA, Italien und Bayern unter der örtlichen Grabungsleitung von Maddy McCartin und Gabriele Russo, um den Acker von Landwirt Holger Schwerdtfeger zu untersuchen. Die Ausgrabung ist gleichzeitig eine Lehrgrabung für die Studierenden, die ihre Kenntnisse beim Ausgraben, Vermessen und Dokumentieren weiter vertiefen können.
Kleine Sondierungslöcher graben die Archäologen nach einem Schachbrettmuster auf dem Acker und durchsuchen das Bodenmaterial nach weiteren Funden aus der Steinzeit. “Wir verfolgen mit dieser kleinen Grabung verschiedene Ziele”, sagt Dr. Jordi Serangeli. “Zuerst möchten wir einen Blick unterhalb des Pflughorizontes werfen, um zu sehen, ob es an dieser Stelle noch intakte Fundschichten gibt.” Aufbauend auf den Funden von Reinhard Leibecke, fast alles Werkzeuge aus Stein, möchten die Archäologen versuchen, Licht in die Vorgeschichte am Solling zu bringen – “als hier Jäger mit Pfeil und Bogen, aber auch mit Speerschleudern und Wurfspeeren große Tiere wie Hirsche, Auerochsen oder Pferde gejagt haben“, sagt er.
Nicht nur Dr. Jordi Serangeli und sein Team sind neugierig, was der Boden noch so bereithält für sie. „Ich bin schon sehr gespannt“, sagte auch Landrätin Astrid Klinkert-Kittel bei einem Besuch vor Ort. Sie dankte Reinhard Leibecke für seine Funde, die er immer der zuständigen Kreisarchäologin vorgelegt habe. „Unser Wissen verdanken wir Ihnen“, lobte die Landrätin den Hobby-Forscher aus Sievershausen. Das bestätigt auch Serangeli: Ohne Menschen wie Leibecke würden die Archäologen gar keine neuen Stellen mehr finden, an denen sie intensiver suchen und neue Erkenntnisse gewinnen können.
Reinhard Leibecke hat sein Wissen seit seiner Schulzeit immer weiter entwickelt, schon seine Lehrer hätten ihm gezeigt, wie denn Steinzeit-Speerspitzen und andere Spuren dieser Zeit aussehen. Mittlerweile hat er einen Blick dafür. Und er weiß, wann er suchen muss: Auf abgeernteten Äckern nach dem Regen. Dann finde man was, sagt er. Aber ein genaues Auge sei schon notwendig, räumt Leibecke ein. Und der Sammler bückt sich lieber einmal mehr. „Erstmal aufheben“, lacht der Sievershäuser, „wegwerfen kann man den Stein immer noch“.


